Politiker genehmigen und kassieren – Staatsanwaltschaft prüft Korruptionsverdacht
Blitze zucken am Himmel über Windrädern. In der Branche wird es turbulenter.
Stedesdorf/Holtgast/Oldenburg „Wenn das jetzt nicht gebremst wird, stellen die noch mehr hin.“ Wolfgang Mänzel ist verärgert. Zehn Windmühlen drehen sich unweit von seinem Haus in Stedesdorf. Fünf weitere sind geplant. Verdichtung nennt sich das im Fachjargon. Im Windpark wäre Platz für noch viel mehr. Wolfgang Mänzel hat die Nase voll, er will den Bau stoppen.
Stedesdorf ist eine Gemeinde in der Samtgemeinde Esens, Landkreis Wittmund. Stedesdorf ist ein zerrissener Ort. Kritiker und Befürworter der Windkraft stehen sich fast unversöhnlich gegenüber. In der Politik, der Familie, der Nachbarschaft. Der Riss zieht sich eigentlich durch die ganze Samtgemeinde Esens, ja, durch ganz Ostfriesland. Und bald womöglich auch durchs Oldenburger Land? Die Windkraft macht die einen reich, die anderen krank, heißt es zugespitzt an der Küste.
Gutes Geschäft
Ein typischer Wintertag in Ostfriesland. Böiger Westwind, peitschender Regen. Mänzel sitzt zu Hause im Wohnzimmer, blättert in einem Aktenordner. Verträge, Briefe, Zeitungsausschnitte: Er sammelt alle Informationen zum „Bürgerwindpark Stedesdorf“.
Dabei hat Wolfgang Mänzel gar nichts gegen Windenergie. „Zu Anfang war ich hellauf begeistert.“ Vor einigen Jahren, als die Idee vom Bürgerwindpark bekannt wurde. Mänzel beteiligt sich, kauft Genossenschaftsanteile. Wie 642 andere Stedesdorfer auch, der halbe Ort macht mit.
Ein gutes Geschäft, wie es scheint. Eine Windenergieanlage werfe eine jährliche Rendite von rund 330 000 Euro ab, rechnet Mänzel vor. Mache bei einer Dividende von 15 Prozent im Jahr 2015 im Schnitt etwa 1500 Euro für jeden beteiligten Bürger.
Nun muss man wissen, dass im „Bürgerwindpark Stedesdorf“ nur drei Windräder den Bürgern gehören. Kein ungewöhnliches Modell, denn diese Windparks sollen ja nicht die Bürger reich machen, sondern der Akzeptanz für die Windenergie auf dem Land durch einen finanziellen Anreiz nachhelfen.
Lobbyverbände wie der Bundesverband Windenergie (BWE) befördern das Geschäftsmodell. Gerne auch bei Kommunalpolitikern. Unter den Mitgliedern im BWE Ostfriesland finden sich ehemalige Bürgermeister und Ratsherren. Geplant wurde der Windpark Stedesdorf von einer Projektierungsgesellschaft aus Aurich. Enercon in Aurich lieferte die Anlagen.
„Ostfriesland ist übersichtlich, das Netzwerk zum gegenseitigen Vorteil ist eng geknüpft“, sagt Manfred Knake vom Wattenrat, der den rücksichtslosen Bau von Windmühlen an und in Naturschutzgebieten beklagt.
Die Windenergie ist ein Millionengeschäft: hohe staatliche Subventionen, garantiert auf Jahre, bezahlt vom Stromkunden.
Die Windenergie ist teilweise ein kriminelles Geschäft. Nicht nur Kommunalpolitiker bereichern sich. Die Mafia wäscht Geld durch Investment in Windparks.
Windkraftkritiker wie Knake leben manchmal gefährlich in Ostfriesland. Er bekam einen Schuss vor die Füße. Eine Ladung Schrot, sagt er. Von einem, der als Großgrundbesitzer profitiert. Drohungen gibt es häufiger.
Zurück nach Stedesdorf. Zwei Windränder dort gehören dem Geschäftsführer des „Bürgerwindparks“. Die übrigen fünf teilen sich etwa 30 Kommanditisten, vorwiegend Landeigentümer. Laut Mänzel kassieren sie im Schnitt 50 000 Euro pro Jahr.
In Stedesdorf ist man anfangs zufrieden. Die Anlagen sind zwar größer und lauter als gedacht, einige Bürger aus angrenzenden Dörfern klagen über Lärmemissionen, Schlafstörungen, Gesundheitsprobleme, doch allgemein arrangiert man sich mit den zehn Mühlen am östlichen Ortsrand. Auch wenn ausgerechnet die drei Bürger-Anlagen wegen des Lärms nachts nur noch begrenzt laufen dürfen.
Ratsherren profitieren
Im Sommer 2015 dreht sich der Wind. Plötzlich wird in Stedesdorf offen ausgesprochen, was vorher als Gerücht kursierte. Fünf weitere Windräder sollen gebaut werden, die Planungen laufen längst.
Wolfgang Mänzel und anderen fühlen sich von einigen Kommunalpolitikern getäuscht, weil diese eine Verdichtung bestritten hätten. „Wir sind in der gesamten Nachbarschaft misstrauisch geworden, was hier läuft.“
Die Kritiker wollen wissen, wer vom Windpark wie profitiert. Und stoßen im Handelsregister und in Gesellschafterlisten auf drei Ratsherren aus Stedesdorf, die sich mit 56 000 Euro beziehungsweise zwei Mal 160 000 Euro in den Windpark eingekauft haben.
Drei Ratsherren, drei Parteien, eine Meinung zum Ausbau. Auch der Stedesdorfer Bürgermeister Helmut Oelrichs will weitere Anlagen. Laut Mänzel steht es im Rat damit derzeit 7:4 für die Verdichtung.
Rechtlich alles in Ordnung, findet Oelrichs. Keine Befangenheit. Kein Verstoß gegen das Mitwirkungsverbot im Kommunalrecht. „Wir haben das geprüft.“ Die Genehmigung sei ja letztendlich Sache des Kreises.
„Wir wollen versuchen, für die Gemeinde zusätzliche Einnahmequellen zu schaffen“, erklärt der Bürgermeister die Ausbaupläne. Alleine bei der Gewerbesteuer verbleibe für Stedesdorf ein Plus von 270 000 Euro jährlich – durch den Windpark, heißt es.
Auch Menno Krey kann die Aufregung nicht verstehen. Er ist einer der drei Ratsherren, die am Windpark mitverdienen. Krey ist inzwischen aus der SPD ausgetreten, wegen der Kritik an seiner Beteiligung – und weil sich seine Partei in der Samtgemeinde gegen den Bau von weiteren Windrädern ausspricht.
Krey nennt den Windpark einen „starken Wirtschaftsfaktor“ für die Gemeinde. Nichts sei vertuscht, die Beteiligung bei Abstimmungen im Rat mehrfach geprüft worden, auch vom Kreis. Krey wirft den Kritikern vor, aus Unwissenheit einen „Streit vom Zaun“ gebrochen zu haben.
Wolfgang Mänzel und seine Mitstreiter gründen im Oktober 2015 eine Bürgerinitiative gegen die Verdichtung, schreiben einen Bürgerbrief, machen alles öffentlich.
„Wir haben vielen Leuten die Augen geöffnet, was verdient wird, wie viel die Ratsherren rausziehen, dass sie überhaupt beteiligt sind“, sagt Mänzel.
Stimmung gereizt
Dass die Stimmung im Dorf gereizt und angespannt ist, sagen beide Seiten. Mänzel und Krey sind Nachbarn.
Die Lage spitzt sich durch eine Bürgerbefragung weiter zu: „Sind sie für die Errichtung neuer bzw. Verdichtung bestehender Windparks im Gebiet der Samtgemeinde Esens?“ An diesem Mittwoch soll ausgezählt werden.
Samtgemeindebürgermeister Harald Hinrichs ist dagegen, will den Flächennutzungsplan ändern. Der Gemeinderat Stedesdorf wehrt sich. „Wir haben einen gültigen Bebauungsplan“, sagt Bürgermeister Oelrichs. Die Befragung sei nicht verbindlich. Versuche der Windparkfreunde, diese in letzter Minute zu verhindern, scheitern.
Die Korruptionsvorwürfe beim „Bürgerwindpark Stedesdorf“ beschäftigen jetzt auch die Justiz. Bei der Staatsanwaltschaft Osnabrück sind Ende Januar zwei anonyme Anzeigen gegen fünf Beteiligte eingegangen. Jetzt ermittelt die Generalstaatsanwaltschaft Celle: wegen möglicher Abgeordnetenbestechung.
Quelle: nwzonline